Dienstag, 19. März 2013

Ist Depression heilbar?







Für die Öffentlichkeit war er der berühmte Philosoph, der Professor an der renommierten École Normale Supérieure in Paris
privat litt er an Depressionen. Es sei ein Leiden, das an die Hölle grenzt, bekannte Louis Althusser. Obwohl er sich allen gängigen Behandlungen - vom Elektroschock über die Analyse bis zu Schlafkur und freiwilliger Internierung - unterzog und alle gängigen Psychopharmaka schluckte, konnte er dem seelischen Terror, der "fürchterlichen unergründlichen Leere" nicht entkommen. "Man wird mir gestatten, nicht davon zu sprechen", schrieb Althusser. Aber die Krankheit sprach. Mit Gewalt.



Holger Reiners, im öffentlichen Leben bekannt als erfolgreicher Architekt und Unternehmensberater, hat sich entschlossen, von seiner Depression zu sprechen. Das ist mutig, weil nur so das Stigma der "Versagerkrankheit" durchbrochen wird. Und wichtig, weil der "Krebs der Seele" inzwischen mehr als fünf Prozent der Deutschen heimsucht. Trotz der Fortschritte in der medizinischen Forschung, trotz reichlicher Angebote von der Pharmaindustrie bleibt die Depression ein vielschichtiges Phänomen von undeutlichen Ursachen, schwierigen Diagnosen und unsicheren Heilungschancen. "Für den, der sie nicht kennt, ein nahezu unvorstellbarer Zustand", sagt Reiners nach 20-jährigem chronischen Leiden. Reiners will Unwissende aufklären, Leidenden Mut machen und erzählen, dass und wie es gelingen kann, sich aus den Trümmern des Lebens "eine neue Heimat für das Ich aufzubauen".



Reiners berichtet von den Erfahrungen des Kindes, das die Liebe des Vaters nicht "erringen" konnte, von der folgenden "unerklärlichen Verzweiflung", vom Lebensmuster der Anpassung bis zum Verstummen der eigenen Stimme, bis zur totalen Selbstentwertung ("Die Maschine Mensch, die meinen Namen trägt, ist nicht nur irreparabel, sie hat auch keinen Restwert mehr"). Und zeigt dann, wie der späte Abschied von den Eltern, der Abschied von der "Illusion, irgendwann könne die Familie doch noch ein schützender Kreis werden" der erste Schritt zur Besinnung auf die eigenen Kräfte wird. Der Depressive, so Reiners, "ist krank, weil er an krankmachenden Lebensmustern festhält".
Er selbst konnte loslassen, als er endlich einen Therapeuten fand, der ihm das unerschütterliche Vertrauen schenkte, das ihm als Kind so sehr fehlte.

Die leere Depressionshölle umzubauen in eine schützende Höhle für die wunde Seele, versichert der Architekt, sei möglich - auch ohne Pillen. Reiners hat sich auf den Weg gemacht. Jeden Morgen tritt er zum Dauerlauf gegen die innere Lähmung an, seitdem er entdeckte, während einer Kur in einer Sportklinik, dass physische Anstrengung dem "antriebsarmen" Patienten auf die Sprünge hilft. Viele kleine Schritte führten ihn zu Halt gebenden Lebensstrukturen, solche, die er sich selbst wählte. Dieses Buch will Leidenden ein Anstoß zum Aufbruch sein und eine Erinnerung daran, dass niemand von der Verantwortung frei ist, "sein eigenes Leben mitzubestimmen - auch und besonders der Depressionskranke".




Holger Reiners: Das heimatlose Ich
Aus der Depression zurück ins Leben
Kösel Verlag, München 2002






Quelle: Zeit Online

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